Das Halloween-Gambit

Am vergangenen Samstag 28. Februar durfte ich bei der 2. Mannschaft des SV Lingen im Spiel der Bezirksliga gegen SK Nordhorn-Blanke 3 aushelfen. Mit Schwarz an Brett 6 spielend ergab sich in der Eröffnung zunächst ein ganz normales Vierspringerspiel (1. e4 e5, 2. Sf3 Sc6, 3. Sc3 Sf6). Dann aber spielte Weiss den ziemlich aggressiven Zug 4. Sxe5 ! Dieses Springeropfer gegen nur einen Bauern ist als Halloween-Gambit oder auch noch mit dem älteren Namen „Müller-Schulze-Gambit“ bekannt. Letzteres bezieht sich allerdings nicht auf bestimmte Schachspieler, sondern sollte zum Ausdruck bringen, dass die Eröffnung nach ihrer „Entdeckung“ vielfach von Amateuren bevorzugt wurde (Halloween-Gambit auf Wikipedia).

Die Grundidee dieser Eröffnung besteht darin, dass Weiss nach 4. .. Sxe5 5. d4 ein starkes Bauernzentrum hat und in der Folge durch Angriffe auf die schwarzen Springer weitere Tempogewinne erzielen kann. Es wird bezweifelt, ob dieses eine ausreichende Kompensation darstellt, allerdings wird die weiße Initiative insbesondere in Blitzpartien als nicht ungefährlich eingeschätzt und die verfügbare Partiensammlung zeigt, dass man als Schwarzer auch in normalen Partien unvorbereitet bzw. bei nicht sorgfältiger Behandlung schnell in grosse Probleme kommen und dann eventuell auch gleich aufgeben kann.

Natürlich ist so ein gegnerischer Zug erst einmal ein Hammer und in meinem Fall tauchten dann auch gleich dem (allerdings erst später gefundenen) Namen dieses Gambits entsprechende Horrorszenarien auf hier in eine Eröffnungsfalle zu laufen oder bereits gelaufen zu sein und dann ebenfalls schnell zu verlieren. Schwarz muss das Springeropfer zunächst einmal annehmen, wonach Weiss aber mit 5. d4 Sc6, 6. d5 oder 5. .. Sg6, 6. e5 die schwarzen Springer weiter angreift.

Ich hatte in meiner Partie den Zug 5. .. Sg6 gewählt, wonach dann auch 6. e5 mit Angriff auf den Sf6 kam. Hier brauchte ich dann doch eine längere Bedenkzeit, um mich zu entscheiden, ob ich die Mehrfigur mit dem einzig möglichen (Rück-)Zug Sg8 verteidige oder eventuell den Springer unmittelbar zurückgebe und dafür meine Entwicklung ruhig fortsetze. Der frühere Weltmeister Max Euwe zeigt in einem seiner Eröffnungsbücher, dass Schwarz nach 6. .. Sg8, 7. Lc4 d5, 8. Lxd5 c6 einen entscheidenden Vorteil erlangen kann. Anstatt aber mit dem gewöhnlichen 6. .. Sg8 die Mehrfigur festzuhalten empfiehlt Eric Schiller („Four Knights – Halloween Gambit“, Unorthodox Chess Openings, 1998) den Zug 6. .. Lb4 als logischere Fortsetzung, was Schwarz nach 7. exf6 Dxf6 das bessere Spiel gibt mit einem Entwicklungsvorsprung und Druck im Zentrum.

Aufgrund des unguten Gefühls, dass die Verteidigung der Mehrfigur grosse Problemen mit sich bringen würde, hatte ich mich in der Partie glücklicherweise auch zur unmittelbaren Rückgabe des Springers entschieden und 6. .. Lb4 gespielt. Nach der Fortsetzung 7. exf6 Dxf6, 8. Lc4 Lxc3+, 9. bxc3 0-0 ergab sich ein für Schwarz bequemes Spiel, das letztendlich mit einem Remis endete, obwohl im späteren Endspiel durch einen ungenauen Zug (direkter Gewinn eines praktisch nicht zu verteidigenden gegnerischen Bauern anstelle der Zentrierung des eigenen Königs) noch der mögliche Gewinn weggegeben wurde.

Eine kleine Sammlung von Partien mit dem Halloween-Gambit wird hiernach zum Nachspielen angeboten. Empfehlenswert ist aber auch Tim Krabbe’s Seite zum Halloween-Gambit: „A breeze in the sleepy 4-Knights game“.

Brause – N.N. ; German Internet Chess Server 1997
1. e4 e5 2. Nf3 Nc6 3. Nc3 Nf6 4. Nxe5 Nxe5 5. d4 Nc6 6. d5 Nb8 7. e5 Ng8 8. d6 Nc6 9. Nb5 cxd6 10. exd6 Bxd6? {(10. .. Qf6)} 11. Qxd6 Qe7+ 12. Be3 Qxd6 13. Nxd6+ Kf8 14. Bc4 Ne5 15. Bb3 Ne7 16. 0-0-0 f6 17. f4 Ng4 18. Rhe1 {(droht 19. Bc5 und 20. Nxc8 Rxc8 21. Rxd7)} 1–0

Brause – N.N. ; German Internet Chess Server 1997
1. e4 e5 2. Nf3 Nc6 3. Nc3 Nf6 4. Nxe5 Nxe5 5. d4 Ng6 6. e5 Ng8 7. Bc4 c6 8. Qf3 f6 9. 0-0 d5 10. exd6 e.p. Bxd6 11. Ne4 N8e7? 12. Qxf6!! gxf6? 13. Nxf6+ Kf8 14. Bh6# 1–0

Torrecillas – Keiser ; Halloween Gambit E-mail Thematurnier, 2003
1. e4 e5 2. Nf3 Nc6 3. Nc3 Nf6 4. Nxe5 Nxe5 5. d4 Ng6 6. e5 Ng8 7. Bc4 Bb4 8. Qf3 f6 9. 0-0 Bxc3 10. bxc3 d5 11. exd6e.p. cxd6 12. Ba3 N8e7 13. Rfe1 Qc7 14. Bb3 Kd8 15. c4 Bd7 16. Rad1 Qc6 17. Qc3 a5 18. d5 Qc7 19. c5 b5 20. Qd2 b4 21. cxd6 Qxd6 22. Bb2 a4 23. Bc4 Ke8 24. a3 Ne5 25. Ba2 b3 26. cxb3 axb3 27. Bxb3 Kf7 28. f4 N5g6 29. Re6 Qxf4 30. Qe2 Qb8 31. Ba2 Qa7+ 32. Kh1 Kf8 33. d6 Ng8 34. Qc4 Nh6 35. Bxf6! gxf6 {(35. .. Bxe6 36. Qxe6 gxf6 37. Qxf6+ Nf7 38. d7 mit unmittelbarem Matt)} 36. Rxf6+ Ke8 {(36. .. Kg7 37. Qc3)} 37. Rxg6 hxg6 38. Qc3 Rh7 39. Qf6 Ba4 40. Qxg6+ Nf7 41. Rf1 Bc2 {(41. .. Bc6 42. Bxf7+ Qxf7 [42. ..Rxf7 43. Qg8+ Kd7 44. Rxf7+] 43. Rxf7 Rxf7 44. Qg8+ Kd7 [44. .. Rf8 45. Qe6+ Kd8 46. Qe7+ Kc8 47. Qc7#] 45. Qxf7+ Kxd6 46. h4+−)} 42. Qxc2 {(Preis für die spektakulärste Partie, die von Weiss gewonnen wurde)} 1–0

Kleine, M. – Newerla, A. ; SK NOH-Blanke 3 – SV Lingen 2, Bezirksliga 2014/15, 28.02.2015
1. e4 e5 2. Nf3 Nc6 3. Nc3 Nf6 4. Nxe5 Nxe5 5. d4 Ng6 6. e5 Bb4 7. exf6 Qxf6 8. Bc4 Bxc3+ 9. bxc3 0-0 10. 0-0 Qc6 11. Qd3 d5 12. Bb3 b5 13. Qf3 Be6 14. a4 a6 15. Bd2 Nh4 16. Qh5 Nf5 17. f4 g6 18. Qe2 Qd7 19. g4 Ng7 20. h3 c6 21. Rae1 Rfe8 22. Qg2 f5 23. Rf3 fxg4 24. hxg4 Bxg4 25. Rfe3 Rxe3 26. Rxe3 Bf5 27. Re5 Re8 28. axb5 axb5 29. Bxd5+ cxd5 30. Rxd5 Qc6 31. Re5 Qxg2+ 32. Kxg2 Rxe5 33. fxe5 Bxc2? {(33. .. Kf7!, da 34. d5 wegen Be4+ nicht geht)} 34. Kf3 Nf5 35. d5 Kf8 36. e6 Bb3 37. Ke4 h5 38. Ke5 h4 39. d6 Nxd6 40. Kxd6 Ke8 41. Ke5 1/2-1/2